Baumarten
Gewöhnliche Fichte
(Picea abies)
Die Gewöhnliche Fichte, der langjährige "Brotbaum“ der Forstwirtschaft, beherrscht noch immer mit großen Beständen unsere Wälder. Das war aber nicht immer so; naturnahe Fichtenwald-Standorte sind im Erzgebirge (und deutschlandweit) eher kleinflächig, so in den höchsten, nass-kalten Hochlagen, in tieferen Lagen in Kaltluftsenken, oft an moorigen Stellen (z.B. der Tieflagen-Fichtenwald bei Grillenburg) zu finden.
Die heutigen großflächigen Fichtenbestände sind erst im 19. Jahrhundert entstanden, im Zuge der großflächigen und planmäßigen Aufforstung der stark übernutzten bis verwüsteten sächsischen Waldbestände, wesentlich mit Anregung des Tharandter Forstwissenschaftlers Johann Heinrich Cotta [10]. Hierfür war die anspruchslose Fichte besonders gut geeignet, da sie auch auf Freiflächen etabliert werden konnte und auch schnell heranwächst. Und damit lieferte sie schnell technisch gut verwertbares Holz [9].
Die Kehrseite war dann viel später (aber auch nicht erst gestern) erkennbar, nämlich die Instabilität der oft nicht standortgerechten Fichtenforste. "Wir wissen heute, daß man damals mit dem Koniferenanbau viel zu weit gegangen ist und daß den großen Erträgen der 1. Fichtengeneration dramatische Rückschläge der 2. und 3. Generation gefolgt sind […] Cotta und seine Schüler hatten damals nur eine Nadelbaumgeneration vorgesehen. Die gegen den Fichtenanbau erhobenen Vorwürfe treffen darum nicht die Forstleute der Cottaschen Zeit, sondern spätere Generationen, die ihn bis heute fortgesetzt haben“ [10] - und: wenige Unbelehrbare, die das immer noch tun wollen.
Nachdem es regional schon Anfang des 20. Jahrhunderts großflächige Borkenkäfer-Kalamitäten, z.B. im Elbsandsteingebirge gab [7], litten die Fichtenbestände, gerade auch im Erzgebirge, später unter der Rauchgasbelastung und saurem Regen ("Waldsterben 1.0“). Nach der deutschen Wiedervereinigung, dramatischer De-Industrialisierung und verbesserter Luftqualität erholten sich die Fichten vielerorts. Aber die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere die extremen Dürrejahre ab 2018, damit Trockenstress und Massenvermehrungen der Fichten-Borkenkäfer (Ips typographus) führen zu einem erneuten, großflächigen Absterben der Fichtenbestände [5] ("Waldsterben 2.0").
In den tieferen, montanen Lagen wäre die Fichte durchaus beigemischt, aber als Halbschatt-Baumart gegenüber Buche (und Tanne) wenig konkurrenzfähig. Die stärksten und ältesten Fichten, die wir im Projekt erfassen konnten, stehen aber häufig an solchen Standorten, an denen die Fichte von Natur aus nicht vorherrschend wäre, aber günstigere Standortbedingungen als in den höchsten Lagen vorfindet. Wenn man Fichten nicht schon früh erntet mit Erreichen der "Zielstärke“ (bis 60 cm Brusthöhen-Durchmesser), sondern alt werden lässt, können sie sich zu beeindruckenden Bäumen entwickeln. Immerhin können Fichten über 60 m hoch werden (so die inzwischen abgestorbene Kiernitzschtal-Fichte in der Sächsischen Schweiz [4] – und über 400 Jahre alt [8].
Man kann die letzten, schönen Altfichten schätzen lernen; gerade etwas offener stehende Bäume können lange sehr tief und dicht beastet sein. Im Frühjahr zeigen sich die hübschen weiblichen Blütenzapfen. Ihnen folgen später die hängenden, sattbraunen Zapfen – immerhin die größten aller Fichtenzapfen weltweit [3]! Die kräftige grau-grüne bis blaugrüne Benadelung (mit leuchtend hellgrünen Austrieben im Frühjahr) bildet auch einen schönen Kontrast zu der rot- bis grau-braunen, schuppigen Borke.
Auch jenseits des Borkenkäfers gibt es eine ganze Reihe von Arten und Lebensgemeinschaften, die an die Fichte gebunden sind. Manche wurden durch den großflächigen Fichtenanbau gefördert, z.B. Vögel wie Fichten-Kreuzschnabel, Tannen- und Haubenmeise [2]. Viele andere, besonders an alte Bäume gebundene Arten aber nicht; so sind nur sehr alte, nicht zu stark verschattete Fichten üppig mit spezialisierten Flechten und Moosen bewachsen [1]. In den tieferen, weniger luftfeuchten Lagen ist das leider kaum der Fall, sicherlich auch noch eine Nachwirkung der starken Luftverschmutzung der vergangenen Jahrzehnte. An sehr alten, starken und absterbenden Fichten finden sich auch jenseits des häufigen Rotrandigen Fichtenporlings (Fomitopsis pinicola) viele interessante, sonst seltene Holzpilze [6]. Mit Baumpilzen, Höhlen und anderen Strukturen können Fichten (erst) im weit fortgeschrittenen Alter insgesamt wertvolle Biotopbäume sein.
Insofern kann man über den Rückgang der alten Fichten und naturnaher Fichtenwälder also durchaus betrübt sein. Andererseits kann man nur hoffen, dass die naturfernen Fichtenforste tieferer Lagen möglichst großflächig naturnäheren Laubmischwäldern weichen werden. Verschwinden wird die Fichte ohnehin nicht – aber die heute z.T. schon wieder üppig nachwachsenden Jungfichten werden ein höheres Alter oft nicht mehr erreichen.
Quellen:
[1] Dittrich, S., Hauck, M., Jacob, M., Rommerskirchen, A. & Leuschner, C. 2013. Response of ground vegetation and epiphyte diversity to natural age dynamics in a Central European mountain spruce forest. – Journal of Vegetation Science 24: 675-687.
[2] Hoffmann, M. 2021. Die Bedeutung der Fichte (Picea abis) für Vogelgesellschaften im hessischen Wald. – Jahrbuch Naturschutz in Hessen 20/2021: 42-47.
[3] https://conifersociety.org/conifers/picea-abies – letzter Zugriff: 23.10.2023
[4] https://www.monumentaltrees.com/de/deu/sachsen/sachsischeschweiz/2423_kirnitzschtal/3811/ - letzter Zugriff: 23.10.2023
[5] https://www.sbs.sachsen.de/download/Waldschutzsituation_in_Sachsen_2022_bf.pdf – letzter Zugriff: 23.10.2023
[6] Müller-Kroehling, S. 2017. Fichtenwälder in Bayern und ihre Biodiversität. – LWF Wissen 80: 89-99.
[7] Riebe, H. 2012. Der Wald im Nationalpark Sächsische Schweiz: gestern - heute – morgen. – Bad Schandau: 72 S.
[8] Schmidt, P.A. 2002. Picea abies (L.) H. Karst., 1881. – Enzyklopädie der Holzgewächse III-1, 28. Erg.Lfg. 7/02: 1-18.
[10] Thomasius, H. 1990. Vorkommen, Bedeutung und Bewirtschaftung der Fichte in der DDR. – Forstwiss. Centralblatt 109: 138–151.