Einzelbäume

Große Hutebuche am Geisingberg

ART: Rot-Buche (Fagus sylvatica) Mehr Informationen

Am westlichen Waldrand des Geisingbergs künden einige Altbuchen mit weit ausladender Krone von Zeiten, als sie sich noch nicht inmitten von konkurrierenden Bäumen himmelwärts schieben mussten, um genügend Licht zu bekommen. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um über 200jährige Zeugnisse einstiger Ziegenhutung. Eine mit vier Metern Stammumfang besonders mächtige Buche wächst direkt am Wegrand - ein eindrucksvolles Baumdenkmal, das bei naturkundlichen Führungen und anderen Umweltbildungsangeboten der Grünen Liga Osterzgebirge eine prominente Rolle spielt [4,5,9].

Im oberen Ost-Erzgebirge spielte Ziegenhaltung ("die Kuh des kleinen Mannes“) eine wichtige Rolle. "Fast jeden Sommertag nahmen die Frauen ihre Ziegen mit aufs Feld, aber im Herbst wurden sie herdenweise ausgetrieben.“ [10] Ziel der von jungen Burschen des Ortes geführten Ziegenherden waren die Stoppeläcker, der Herbstaufwuchs der Bergwiesen, aber auch die Bucheckern unter den extra zu diesem Zweck erhaltenen und geförderten Hutebäume am Rand des Waldes.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts konnte indes von "Wald“ am Geisingberg (wie auch anderswo) kaum noch die Rede sein: "Der hohe Holzbedarf im Bergbau und Hüttenwesen führte zu einer drastischen Übernutzung der Wälder. Gegen Ende des 18. Jh. waren nur noch wenige Waldbestände auf der Geisingbergkuppe und am Hohen Busch übriggeblieben.“ [11] Erst nach dem Erwerb der Flächen durch den Kurfürsten im Jahr 1801 [6] erfolgte die Aufforstung und die Entwicklung zu einem "Mischwald, je nach Fläche mit vorherrschend Fichte oder Tanne, oft in Mischung mit Buche und Ahorn“ (Mitte des 19. Jh.) [7]. Die weit ausladenden Kronen der Buchen am westlichen Hangfuß sprechen dafür, dass diese mutmaßlichen Hutebäume hier schon gestanden haben müssen, bevor Fichten oder Tannen zu als Konkurrenten auftraten - also für ein Alter von vermutlich über 200 Jahren. Sie haben inzwischen auch die meisten Tannen und Fichten überlebt, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Luftschadstoffen zum Opfer gefallen sind.

Ziegenhutung gab es auch andernorts im Erzgebirge (und darüber hinaus). Interessant sind beispielsweise die Erinnerungen des Zeitzeugen Gottfried Kastl (geboren 1908 in Hohenstein-Ernstthal): "Ich musste als Schuljunge jahrelang Ziegen hüten und weiß, wie gerade Ziegen aufkommende Bäumchen immer wieder abbeißen, förmliche Kletterkünste anwenden, um einen letzten, höchsten Trieb eines aufwachsenden Strauches oder Baumes zu erreichen. Erst wenn durch ständiges Verbeißen der aufsprießende Baum zu einem sparrigen, dichten Busch von etwa 2 m Durchmesser geworden ist, kann er in der Mitte einen Trieb hochbringen, der ihn als späterer Stamm über die Erreichbarkeit der tödlichen Ziegenzähne hinaushebt“ [8] Denkbar, dass die Hudebuche am Geisingberg auf ganz ähnliche Weise entstanden ist wie ähnlich breitkronige Buchen im Weserbergland oder im Schwarzwald [2]. Die Form des heutigen Stammes lässt vermuten, dass hier sogar mehrere Austriebe zusammengewachsen sind.

Alte Hutebuchen sind nicht nur besondere kulturhistorische Zeugnisse, sondern sind auch von großer Bedeutung für die biologische Vielfalt und zeichnen sich durch besondere Arten und Lebensgemeinschaften aus, die jüngeren Bäumen fehlen [2]. Bei den Untersuchungen im Rahmen des Baumdenkmalprojekts konnten an diesem Exemplar recht viele Epiphyten (Aufsitzerpflanzen) nachgewiesen werden, darunter elf Moosarten. Die Wiederbesiedlung der Bäume mit Moosen und Flechten nach der deutlichen Reduzierung der Schwefeldioxid-Belastungen [1] ist auch hier erstaunlich schnell erfolgt, noch Ende der 1990er Jahre war so gut wie kein Epiphytenbewuchs zu erkennen. Unter den jetzt festgestellten Arten ist besonders das Schlaffe Birnmoos (Ptychostomum moravicum) bemerkenswert, das über 180 Jahre alte Buchen bevorzugt [3], ein Alter das in Wirtschaftswäldern kaum erreicht wird.

Bedingt durch ihr hohes Alter weist die Hutebuche eine Vielzahl von Habitaten für weitere Organismen auf: mehrere Bruchstellen und unterschiedlich große Asthöhlen, eine für Buchen ungewöhnlich raue, rissige und zerklüftete Borke, Mikroböden am Stammfuß (kleine Substrat-Ansammlungen, in denen Gefäßpflanzen wachsen können) sowie schwächeres Totholz in der Krone und stärkere, bereits am Boden liegende Totäste.

In unmittelbarer Umgebung der alten Hutebuche befinden sich, wie eingangs erwähnt, noch mehrere ähnlich alte, teilweise aber schon stärker zerfallende Buchenexemplare. Während der umgebende Wald sich im Zuge der natürlichen Sukzession zu einem Eschen-Ahorn-Buchen-Mischbestand entwickelt, bietet sich hier sogar die Möglichkeit, einen Biotopverbund zum Altbuchenbestand auf der Ostseite des Geisingbergs zu entwickeln. Bei letzterem Bestand jedoch zeigt sich deutlich die Empfindlichkeit dieser Baumart gegenüber Stamm- und Wurzelverletzungen: Nach unsachgemäßer Holzrückung vor einigen Jahrzehnten mussten inzwischen viele der Altbäume gefällt werden oder sind fäulnisbedingt umgebrochen. Dies sollte Mahnung zu einem rücksichtsvollen Umgang mit dem Baumdenkmal "Hutebuche am Geisingberg“ sein!

Quellen:

[1] Baumann, M., Dittrich, S. & von Oheimb, G. 2022. Recolonization of epiphytic bryophytes after decades of air pollution in forest ecosystems in the Erzgebirge (Ore Mountains) shows the importance of deciduous trees for the diversity of this species group. – Forest Ecology and Management 509: 120082 - https://doi.org/10.1016/j.foreco.2022.120082

[2] Dittrich, S. & Meier, M. 2020. Zeugen vergangener Zeiten. – Söltjer 45: 64-70.

[3] Fritz, Ö., Niklasson, M. & Churski, M. 2008. Tree age is a key factor for the conservation of epiphytic lichens and bryophytes in beech forests. – Applied Vegetation Science 12: 93-106.

[4] Grüne Liga Osterzgebirge (Hrsg.), 2007. Naturkundliche Wanderziele. Band 3 Naturführer Ost-Erzgebirge. Sandstein Verlag – Dresden: 748 S.

[5] Grüne Liga Osterzgebirge (Hrsg.), 2015. Naturschutzgebiete des Ost-Erzgebirges. NSG Geisingberg. 13 S.

[6] Hempel, W. & Schiemenz, H. 1986. Die Naturschutzgebiete der Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden (Handbuch der Naturschutzgebiete der DDR, Band 5). – Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin; S. 282

[7] Karst, H., Ehrler, P., Höhne, U., Wagner, G., Wolf, S., Lindner, H., Kropek, C. & Schmidtgen, H. 1965. Erläuterungen zu den Standortskarten des Staatlichen Forstwirtschaftslehrbetriebes Tharandt. Potsdam: Forstwirtschaftliches Institut (unveröff.), 270 S.

[8] Kastl, G. 1987. Abschied von der Ziegenbuche. – Söltjer 12: 34-42.

[9] osterzgebirge.org/de/natur-erkunden/schutzgebiete/naturschutzgebiete/geisingberg – letzter Zugriff: 30.05.2023

[10] Schierge, E. 1953. Unser Geising. Union Verlag – Dresden, 62 S.

[11] SMUL (Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, Hrsg.), 2008. Naturschutzgebiete in Sachsen. – Dresden: 720 S.

Informationen

Ort

Altenberg, Stadt
Geising

Schutz

-

Patenbaum

nein

Basisdaten vom 19.12.2021

Umfang

4.00 m

Durchmesser

1.27 m

Höhe

27 m

Alter

150 Jahre

Zugang

frei

Standort

Scroll/Grösse ändern: Zwei Finger oder +STRG

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